Eine Rezension von Irmtrud Wojak

Junge Leute diskutieren mit Prominenten

Das KELLERCLUB-Gespräch mit Generalstaatsanwalt Dr. Fritz Bauer fand ein Jahr nach dem Beginn des Auschwitz-Prozesses statt, der den aktuellen Hintergrund der Diskussion bildet. Die Studiorunde mit Studierenden, obwohl sie betont locker wirken soll und man bei Getränken und im Zigarettendunst diskutiert, wirkt seltsam steif und bieder, von einer 68er-Bewegung ist noch nichts zu spüren. Der Lebhafteste unter den Anwesenden ist Generalstaatsanwalt Dr. Bauer, der auch nicht verschweigt, welche Schwierigkeiten er persönlich hat und wie ihn die Prozesse mitnehmen. Der Jurist geht vor allem auf die aktuellen politischen Gefahren von rechts er ein, erklärt seine Kritik an der Verjährung von NS-Verbrechen und warum er sich für eine Resozialisierung von Straftätern einsetzt.

Es gibt kein Interview und keine andere Diskussionsrunde, die Generalstaatsanwalt Dr. Bauers Haltung gegenüber der Nazi-Vergangenehit und den Erfordernissen der Gegenwart deutlicher machen könnte. Er nimmt Stellung zu Nationalismus und Antisemitismus, zu der Frage, ob ein Hitler noch eine Chance in der Bundesrepublik hätte. Freunde und Feinde Bauers beschäftigte dieses Thema damals, hatte er doch im Jahr zuvor einer dänischen Boulevard-Zeitung ein Interview gegeben und seine Zweifel geäußert, das wir vor einem neuen Hitler gefeit wären. Bauer brachte diese Auffassung zum wiederholten Male in Konflikt mit seinen politischen Gegnern, vor allem mit der CDU. Nach dem Interview lösten die Konservativen einen Sturm der Entrüstung aus, war es doch das erklärte Ziel der CDU, einen Schlussstrich unter die Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte zu ziehen. Die Christdemokraten wollten sich im Wirtschaftswunderland Westdeutschland nicht länger von den Warnungen und Mahnungen der Opfer und Überlebenden stören lassen.

„Aufklärung im Kellerclub“

Das Gespräch im KELLERCLUB wurde von der Filmregisseurin und Produzentin Ilona Ziok für ihren Film FRITZ BAUER – TOD AUD RATEN (CV FILMS, 2010) ausgewertet. Bauers Argumentation in der Diskussionsrunde nutzte sie als „roten Faden“ für den Plot ihres Dokumentarfilms, der daher besonders authentisch ist. Zioks Film ist der erste Film, der sich ernsthaft um eine Darstellung von Bauers Bedeutung für die demokratische Entwicklung nach 1945 bemüht und diese beleuchtet hat, wozu HEUTE ABEND KELLERCLUB einen gelungenen Einstieg bietet.

Daniel Kothenschulte schrieb über den Film von Ilona Ziok und die Atmosphäre der damaligen Zeit in der Frankfurter Rundschau unter dem treffenden Titel „Aufklärung im Kellerclub“: „Ilona Zioks Dokumentarfilm beginnt in einer gemütlichen Talkshowkulisse. Als sich diese Sendeform im deutschen Nachkriegsfernsehen etablierte, gab es lange Zeit dafür nur ein Ambiente: den gemütlichen Stammtisch. Was weniger alltäglich gewesen sein dürfte: Man redet an diesem Abend des Jahres 1964 über Auschwitz. Im satten Schwarzweiß sind die Röhrenkameras auf einen freundlichen älteren Herrn gerichtet, der sich von der leutseligen Bier- und Apfelweinatmosphäre gänzlich unbeeindruckt zeigt. Es ist Fritz Bauer, der profilierteste Staatsanwalt seiner Zeit und Initiator der Frankfurter Auschwitzprozesse. Sein zerklüftetes Gesicht hinter der massiven Hornbrille lässt ihn älter erscheinen als seine einundsechzig Jahre. Dennoch wirkt er jung in seiner Diktion und positiven Energie. Klar und mit druckreifer Präzision beantwortet er Fragen von Studenten: ‚Wir haben ja einiges getan, als wir die Bundesrepublik schufen. Im Grundgesetz haben wir eine Demokratie (…). Aber was Sie brauchen, sind die richtigen Menschen, die diese Dinge leben.’“

Der Rezensent trifft den wunden Punkt, der im KELLERCLUB Gespräch eine knappe Stunde lang gegenwärtig ist, aber nur an einer Stelle von Bauer selbst angesprochen wird. Am liebsten hätten seine politischen Gegner ihm den Mund verboten und er fühlte von allen Seiten die Wände auf sich einstürzen.

Kothenschulte spricht auch das an: „‚Ich hoffe, nicht ohne Logik gesagt zu haben, was geschehen müsste, um Grausamkeiten zu vermeiden, wie sie der Gegenstand der Prozesse sind und nicht zuletzt in einem atomaren Zeitalter wieder geschehen können‘, hatte Bauer einen seiner Aufsätze über seine juristische Erinnerungsarbeit geschlossen. ‚Nichts gehört der Vergangenheit an. Alles ist noch Gegenwart und kann wieder Zukunft werden.’“ Die Broschüre, in der das nachzulesen ist, wurde als „Vaterlandslosigkeit“ im Jahr 1962 für den Schulgebrauch in Rheinland-Pfalz verboten: …“und das Kulturministerium scheute sich nicht, einen jungen CDU-Politiker zu einem öffentlichen Streitgespräch mit Bauer zu entsenden. Die Zeit sei noch nicht reif für eine Aufarbeitung, meinte der aufstrebende Parteifunktionär kategorisch, sein Name: Helmut Kohl.“ (1)

 

Anmerkungen und Literatur

(1) Daniel Kothenschulte, „Aufklärung im Kellerclub“, in: Frankfurter Rundschau, 22. November 2010.

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