Eine Rezension von Irmtrud Wojak

PHOENIX

PHOENIX ist ein Kinofilm, der ohne falsche Beschönigungen und ohne falsche Moral die Atmosphäre der Nachkriegsjahre in Deutschland, man kann auch sagen des „Nach-dem-Massenmord“, widerspiegelt. Es geht um verlorene und verratene Liebe und darum, was eigentlich Überleben ist und bedeutet. PHOENIX ist ein mutiger Film über eine Frau, die das Konzentrationslager Auschwitz überlebt hat und die danach, im Herbst 1945, ohne jede Selbstschonung die Suche nach der eigenen Geschichte beginnt.

Die Story ist im Grunde nicht kompliziert und hat sich öfters ereignet, so oder ähnlich, auch wenn wir ungern oder selten darüber nachgedacht haben. Eine junge Frau, sie heißt Nelly, kehrt zurück in ihre frühere Heimatstadt Berlin. Sie hat das nationalsozialistische Vernichtungslager überlebt, wohin der Verrat ihres Mannes Jonny sie gebracht hat, der jetzt, im zerstörten Nachkriegsberlin, selbst ums Überleben kämpfen muss. Das Gesicht der Frau wurde von den Nazis durch Schüsse zerstört und sie musste auch nach ihrer Befreiung weiter ums Überleben kämpfen. Jetzt aber will sie ihre eigene Identität zurückgewinnen und wissen, was geschehen ist, bevor sie nach Auschwitz deportiert wurde. Währenddessen fällt ihrem Mann, der die eigene Frau scheinbar nicht wiedererkennt, nichts Besseres ein, als ihr – möglichst eins zu eins – das frühere Gesicht und Aussehen zurückzugeben. Auf diese Weise will er sich das Erbe seiner Frau doch noch von ihren Verwandten erschleichen, um aus der eigenen Nachkriegsmisere heraus und wieder zu Geld zu kommen.

Ob dem Mann der Coup gelingt, mit dem er sich befreien will, lässt der Film nicht offen, ist aber unwichtig. Entscheidend vielmehr, dass existenzielle Fragen aufgeworfen und – was für einen deutschen Film, der von Auschwitz und dem Umgang mit unserer Geschichte danach erzählt, ungewöhnlich ist – die fertigen Antworten nicht schon mitgeliefert werden.

Die Geschichte, diese vor allem, das ist eine der Aussagen des Films, ist nicht zu Ende. Das Merkwürdige an PHOENIX ist, dass der Film das schlechte Gewissen, die Schuldgefühle derjenigen, die sich selbst und unser Menschsein verraten haben, zwar immer wieder andeutet, doch gerade indem er sie nur andeutet, die Verdrängungsmechanismus deutlich macht, die nach 1945 weiterhin praktiziert wurden, um die Verantwortung den Anderen, den Opfern zuzuschieben. Bloß um genau da weitermachen zu können, wo die meisten Deutschen auch schon vor oder nach 1933, als die Nazis an die Macht kamen, das eigene Gewissen an ein angeblich „Höheres“ abgegeben hatten, sei es nun ihr „Führer“ oder die Staatsautorität.

Anders als Filme wie DER STAAT GEGEN FRITZ BAUER, der Opfern und Überlebenden – in dem Fall Generalstaatsanwalt Dr. Bauer – einseitig die Rolle der Rächer und fanatischen „Nazi-Jäger“ zuschreibt, oder wie IM LABYRINTH DES SCHWEIGENS, der aus dem Leid der Opfer ein Rührstück der Restaurationsjahre macht, gegen die einzelne Rebellen in der Justiz heldenhaft ankämpften, konfrontiert PHOENIX die Zuschauerinnen und Zuschauer mit einer Realität, in der Opfer und Überlebende auch nachträglich für eigene Zwecke instrumentalisiert werden.

Was vielleicht am Verstörendsten wirkt und durch den Titel PHOENIX angedeutet wird, ist eine entscheidende Aussage des Films: Es sind die Opfer und Überlebenden, diejenigen, denen die Nazis ihr Leben rauben wollten, die sich ihre eigene Geschichte und Identität bewahrt haben, rückblickend auf die NS-Herrschaft vielleicht sogar als die Einzigen. Sie haben damit sich und uns gerettet, denn niemand konnte Auschwitz überleben ohne eine eigene, ohne die menschliche Geschichte, die Hilfe von einem Menschen, der im entschiedenen Augenblick da war.

Christian Pätzolds Film ist einer über den Widerstand der Opfer und Überlebenden. Eine Geschichte, die gern verdrängt wird. Fritz Bauer hat sie uns in den NS-Prozessen als Möglichkeit und Alternative vor Augen geführt. Ihm ist dieser besondere Film gewidmet.

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